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Umarmen auf einer Bank

Lieben trotz innerer Leere?

Wie emotionale Taubheit Beziehungen auf die Probe stellt

Auch in diesem Jahr sehen wir wieder eine deutliche Zunahme von Menschen, die in schweren Lebenskrisen stecken – ausgelöst durch Traumata und ungelöste Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit.

Allein im ersten Halbjahr zeigen sich in unserer Praxis erschütternde Zahlen: 73% der Betroffenen mit Traumafolgestörungen und Depressionen – zum Teil auch begleitet von Burnout-Syndrom – nennen Ehe- oder Partnerschaftsprobleme als den vordergründigen Auslöser ihres aktuellen Leidensdrucks.

Doch im Verlauf der Gespräche zeigt sich häufig ein anderes Bild: Es sind gar nicht in erster Linie die akuten Eheprobleme oder Streitigkeiten, sondern vielmehr Wunden aus der Vergangenheit, die sich langsam und fast unbemerkt in das gemeinsame Leben eingeschlichen haben. Gerade Anzeichen wie inneres Unbehagen, emotionale Taubheit oder das Empfinden von Distanz zum Partner werden oft übersehen, ignoriert oder durch noch mehr Arbeit, Hobbys oder andere Beschäftigungen betäubt. So wächst die Entfernung zum Partner oft schleichend, bis die ganze Beziehung ins Wanken gerät.

Diese Zahlen und Muster bestätigen sich im Vergleich zum Vorjahr – glücklicherweise konnten wir in vielen Fällen erleben, dass gezielte therapeutische Unterstützung und das bewusste Hinsehen auf alte Verletzungen aus der Kindheit, den Weg zurück ins Miteinander ermöglichen. Zahlreiche Fachquellen belegen die enge Verbindung zwischen seelischen Verletzungen und Partnerschaftsproblemen, worauf wir noch eingehen werden.

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Der Anstoß zu diesem Artikel kam von unseren Klient*innen. Viele von ihnen, in unterschiedlichen Stadien ihrer Heilung, werden von einer stabilen Beziehung und der stillen Hoffnung getragen, dass ihre Partner an ihrer Seite bleiben und sie unterstützen – trotz psychischer Belastungen und harte Zeiten. Wir sind überzeugt, dass es möglich ist, nach spürbarer Besserung gemeinsam mit dem Partner diese schwere Zeit aufzuarbeiten – und eines Tages offen, vielleicht sogar mit einem Lächeln, darüber zu sprechen.
Der Weg dorthin beginnt mit der Übernahme von Verantwortung für sich und die Familie, dem Anerkennen alter Verletzungen und der ehrlichen, mutigen Auseinandersetzung mit eigenen Denk- und Verhaltensmustern.

Wichtiger Hinweis:
Bevor wir fortfahren, möchten wir betonen, dass sich dieser Artikel – inklusive aller Klarstellungen, Erklärungen und Übungen – ausschließlich an Paare richtet, deren Beziehung eine grundsätzlich stabile und gesunde Basis hatte und eigentlich noch immer hat, auch wenn aktuell Symptome belasten. Es geht hier nicht um akute Streitthemen, sondern um Beziehungsarbeit auf einer tragfähigen Grundlage.

Betroffene und Angehörige, die sich in toxischen Beziehungen befinden - Gewalt erleben oder ausüben, oder aus Selbstschutz die Beziehung beenden mussten bzw. müssen, sind ausdrücklich ausgenommen. In solchen Fällen empfehlen wir, Ihren Arzt aufzusuchen und  professionelle Hilfe vor Ort aufzusuchen.

 

Wenn das Trauma langsam die Beziehung vergiftet

Manchmal schleicht sich ein altes Trauma fast unbemerkt in die Partnerschaft – wie Schlangengift, welches sich langsam im Körper verteilt. Die Symptome entwickeln sich schleichend. Manchmal dauert es Jahre, bis man merkt, dass nicht die Beziehung selbst, sondern unbewusste Erinnerungen, Schutzmechanismen und tiefe Verletzungen alten Ursprungs das Miteinander vergiften. Das Gift sind die Zweifel, die innere Unruhe, das Gefühl von Fremdheit oder gar Kälte.
Und oft denkt man lange: Vielleicht stimmt einfach was nicht mit uns. Vielleicht ist unser Partner wirklich nicht mehr der Richtige. Doch die Wahrheit ist: In Krisen- oder Erschöpfungsphasen werden unsere alten Muster aktiviert.

Die Alarm-Systeme aus Kindheit oder Jugend reagieren auf Nähe oder Verletzlichkeit wie damals – nicht wie heute.
Therapeuten warnen deshalb ganz klar: In Phasen akuter Belastung, Depression, Trauma oder Burnout sollte man keine lebensverändernden Entscheidungen treffen!
Denn: Ein voreiliger Rückzug, eine schnelle Trennung kann zu tiefer Reue führen, wenn die eigenen Filter sich wieder etwas auflösen und Klarheit zurückkehrt. Diese Reue kann wiederum neue Verletzungen verursachen – das Risiko für weitere Traumatisierungen steigt, obwohl man eigentlich nur sich selbst schützen wollte.

 

Deshalb gilt:
Du bist nicht schwach, wenn du bleibst – sondern du beweist Mut und die Fähigkeit, dich nicht von alten Mustern und Negativspiralen steuern zu lassen. Du entscheidest dich somit für die Heilung und nicht für die Flucht. Gerade wenn die Partnerschaft gesund und stabil war/ist, lohnt es sich, dran zu bleiben. Achte auf kleine Gesten und gemeinsame Routinen – das sind die stillen Beweise der Liebe, auch wenn sie dir mechanisch erscheinen.

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Typische Negativspiralen im Kopf

  • ("Ich liebe meinen Partner nicht mehr, weil ...")

  • „Ich spüre nichts mehr – also ist meine Liebe weg.“

  • „Mein Partner löst nur noch Unruhe und Stress in mir aus.“

  • „Ich habe keine Lust mehr auf Nähe, keine Sehnsucht – dann muss es aus sein.“

  • „Andere Paare wirken glücklicher, bei uns ist nur Leere.“

  • „Ich finde meinen Partner nicht mehr attraktiv, das war’s wohl.“

  • „Es bringt nix mehr, wir sprechen nur noch selten über Alltägliches. Ich empfinde nichts.“

  • „Meine Gefühle kehren sicher nie zurück – es ist endgültig vorbei.“

  • „Wenn ich bei meinem Partner bin, fühle ich mich eingesperrt und kontrolliert.“

  • „Wenn ich ehrlich bin, ist mir einfach alles zu viel – vermutlich, weil ich ihn/sie nicht mehr liebe.“

  • „Ich war ja schon als Kind allein – dann sollte ich das jetzt auch besser sein.“

 

Wichtig:
Diese Gedankenkreise sind ein Produkt der
Kombination aus Trauma, Depression, Belastung und emotionaler Erschöpfung. Sie fühlen sich „wahr“ an, sind aber lediglich ein Spiegel des momentanen psychischen Zustandes – nicht der echten Beziehung (ausgehend von stabilen Beziehungen - nicht toxisch).

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Warum diesen Gedanken NICHT nachgeben?

Diese negativen Gedanken sind wie Rauch – sie tauchen auf, versperren dir die Sicht und scheinen wahr, verschwinden aber, wenn du wieder atmen kannst.
Wenn du dich in einer akuten Phase von Trauma, Burnout oder Depression befindest, ist dein Gehirn darauf programmiert, das Negative zu verstärken und das Positive auszublenden (Negativitätsbias).

Das bedeutet:

  • Was jetzt kalt und taub erscheint, wird nach der Krise wieder lebendig werden.

  • Die Entscheidung jetzt zu handeln entspringt sehr selten wirklicher Klarheit (Scheidung, Trennung, Auszug, etc.).

  • Erst wenn du stabiler bist, Gefühle wieder langsam zulassen kannst und alte Muster erkennst, weißt du, was du wirklich willst - dazu musst du erst verstehen, erkennen und heilen wollen.

 

Übung:
Neutralisiere deine harschen Gedanken:

Jedes Mal, wenn ein „Ich liebe ihn/sie nicht mehr“-Gedanke auftaucht, sage innerlich:
"Ich schließe nicht aus, dass das ein Symptom meiner Erschöpfung/Trauma/Depression ist. Vielleicht ist es ein inneres Muster, kein echtes Gefühl zu meinem Partner. Ich lasse ihn erst einmal stehen, ohne ihm zu glauben.“

Eine positiver Gedankengang ist in deinem Zustand nicht möglich. Die Neutralisierung ist daher der erste Schritt.

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Schritt-für-Schritt-Übungen zur Gefühlsfindung und Eis-Schmelze (täglich und ehrlich ausführen)

1. Anerkennen der Gedanken (3 Min. täglich)

Setze oder lege dich hin, schließe die Augen. Wenn ein Trennungs- oder Abwert-Gedanke auftaucht:

  • Benenne ihn („Da ist der Gedanke, meine Gefühle sind weg.“).

  • Lasse ihn ziehen, wie eine Wolke am Himmel.

  • Atme tief durch und wiederhole: "Das ist jetzt ein Gedanke, kein Beweis."
     

2. Kleine Alltagsgesten wertschätzen (5 Min. abends)

Schreibe 3 kleine Dinge auf, die du für deinen Partner getan hast (Kaffee gemacht, Guten-Morgen gesagt, Nähe zugelassen, gemeinsam gegessen) – auch, wenn sie mechanisch waren.
Am nächsten Tag 3 Dinge aufschreiben, die dein Partner für dich getan hat (dies dann täglich im Wechsel).
 

3. Mini-Kontakt-Übungen (täglich)

  • Jeden Tag eine bewusste Berührung (Hand auflegen, kurze Umarmung, Blickkontakt).

  • Abends ein einfaches Gute-Nacht-Ritual (auch wenn es sich leer anfühlt).

  • Optional: Kurze Nachricht ("Danke für..."), Zettel, kleine Aufmerksamkeit.
     

4. Wahrnehmungstagebuch (täglich, 6 Wochen - durchgehend)

  • Notiere täglich: Wie geht es mir wirklich? Bin ich heute ruhiger/aufgewühlter in der Nähe meines Partners?

  • Gab es eine kleine Sekunde Freude, ein Funken Wärme, ein leises Bedürfnis nach Nähe?
    6 Wochen durchhalten, um kleine Veränderungen zu bemerken.

     

5. Gefühle aussprechen (2-3x die Woche - 12 bis 16 Wochen durchgehend)

Teile, wenn möglich, mit:
"Ich fühle mich gerade sehr leer/unsicher/verloren. Bitte habe Geduld mit mir, ich bemühe mich, wieder Zugang zu mir zu finden."

Transparenz erhält Verbindung!

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Angemessener Zeitraum:
Bleibe mindestens 12-16 Wochen bei diesen Übungen. Viele berichten, dass sich in dieser Zeit kleine, aber entscheidende "Risse" im Eis auftun – Wärme kommt zurück, manchmal ganz langsam. Entscheidend ist die spezielle Traumatherapie, wie EMDR und KVT oder Schematherapie, u.a.) und die bewusste Entscheidung - die alten Muster aus der Vergangenheit durchbrechen zu wollen.

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Den Partner nicht plötzlich zum "Fremden" machen: Was passiert in der Beziehung ab 40?

Gerade zwischen 40 und 65 zeigen sich alte Wunden oft besonders intensiv. Das liegt an der entsprechenden Entwicklungsphase und der Erwartungshaltung.

Beziehungen werden zum Spiegel:

  • Der Partner „triggert“ alte Ängste, weil jetzt, in dieser Phase des Lebens - tiefe Nähe, echte Bindung gefragt ist.

  • Arbeitsstress, Lebensumbrüche und Verluste geben alten Schutzmechanismen Raum.

  • Nähe fühlt sich plötzlich bedrohlich oder fremd an, weil das eigene System Angst vor weiterer Verletzlichkeit hat.

 

Häufig wird berichtet:
Der Partner wird plötzlich fremd, löst innere Unruhe, Nervosität, sogar Angst aus – nicht, weil die Liebe fehlt, sondern weil das Nervensystem Alarm schlägt (Artikel: Innerer Wachhund), sobald echte Nähe und Verbindlichkeit auftauchen.
Deshalb entstehen Zweifel: Ist es Liebe oder Fluchtwunsch? Aber die kleinen unbewusste Gesten, der Wunsch nach Kontakt/das was war wieder zurück zu erlangen, sind die eigentlichen Beweise: Liebe braucht im mittleren Alter keine Schmetterlinge, Kribbeln oder Gänsehaut - sondern Verbundenheit, Respekt und ehrliches „Ich bleibe“ - auf beiden Seiten.

 

Partnerschaft als Spiegel: Heilung beginnt im Miteinander

 

Warum ist das gerade in dieser Lebensphase so extrem?
 

Hormonelle Veränderungen bei Frauen und Männern, eine hohe Erwartungshaltung an sich selbst und das Leben sowie der Beginn einer Zeit, in der Enttäuschungen durch das sichtbar werdende Altern auftreten können - spielen eine Rolle. Gleichzeitig verlangen Grundbedürfnisse und die aktuelle Lebensphase nach echter, tiefer Bindung – nach einem stabilen Fundament. Man wächst (nicht Körperlich sondern innerlich).

Ehe, Partnerschaft und Familie bilden die Hauptelemente dieses Fundaments. Aber um wirklich wachsen und erwachsen werden zu können, muss das, was kaputt ist, repariert werden. Deine Traumata fordern nun einen hohen Tribut: Weil du das erste Mal im Leben – vielleicht nach Jahrzehnten – bereit warst/bist, echte Nähe und Liebe zuzulassen. Die Beziehung hält dir den Spiegel vor:

  • „Hier bin ich – mit all meinen alten Wunden. Jetzt werde ich gesehen und habe Angst, wieder verlassen oder verletzt zu werden.“ Das geschieht still und heimlich im tieften inneren der Seele.

  • Gerade, wenn die Partnerschaft auf ehrlicher Liebe beruht, kommen alte Schutzreflexe aus der Kindheit hoch: Flucht, Kälte, Kampf oder totales Abschalten.

Doch genau darin liegt die Chance auf Wachstum und Glück:

  • Wer sich jetzt traut, die Muster zu erkennen, nicht automatisiert zu reagieren, sondern dranbleibt, kann das Eis schmelzen, alte Trauma-Schleifen lösen - sich befreien und echte Partnerschaft erleben. 

  • Nicht alle Beziehungen bekommen diese Chance – oft nur die, in denen wirklich Liebe, Ehrlichkeit und Respekt vorhanden waren und noch vorhanden sind.
    Menschen, die nie den Mut hatten, sich zu öffnen, verpassen diese Erfahrung. Diejenigen aber, die im Erwachsenenalter mit offenem Herzen (trotz aller Angst) - mit der Bereitschaft zu Verstehen und Lernen - ihren Partner nicht aufgeben, erleben oft zum ersten Mal tiefe, beständige Liebe – ohne Masken, ohne Flucht, ohne Selbstverrat.

  • Dem ersten Impuls des „Nicht-mehr-Liebens“ und Rückzugs nicht nachzugeben, sondern ihn wie eine Stimme aus der Vergangenheit zu erkennen, erfordert Mut und ist gleichzeitig schwer zu verdauen. Man erfährt, dass man noch nicht ausgereift ist, weil eine frühe Entwicklungsphase nicht abgeschlossen werden konnte. Die ist für einige ein herber Rückschlag und kann vorerst zu weiteren Stimmungsschwankungen führen.
    Aber genau das ist der Moment, in dem solche Beziehung Heilung bringen. Nicht weil Liebe immer einfach ist – sondern weil sie gerade jetzt, im mittleren Leben (mit all seinen Macken), echt, ehrlich und voller Tiefe sein sollte.

 

Stell dir eine Zukunft vor, in der du die Fesseln alter Ängste hinter dir lässt. Deine innere Stärke öffnet dir den Weg zu einer Beziehung, in der du dich gesehen, geliebt und wertgeschätzt fühlst – und in der die Angst, verlassen zu werden, keinen Platz mehr hat. So entsteht echte Verbundenheit.


Bleibe, so lange du einen Funken Hoffnung oder den Wunsch nach Zusammenhang spürst. Finde einen Weg durchzuhalten - es ist möglich durch Willensstärke.

Gib dich (und deine Liebe) nicht zu früh auf.

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Alte - schädliche Muster in Beziehungen: Warum verhalten sich manche widersprüchlich?

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Intimität, Ersatzhandlungen und der Wunsch nach Gesehenwerden

Gerade Menschen mit traumatischen Erfahrungen geraten in Beziehungen oft in innere Konflikte, wenn es um Nähe, Sexualität und Gesehenwerden geht. Für manche war es lange Zeit normal, ihre Bedürfnisse nach Intimität über Pornografie zu befriedigen – besonders in Singlezeiten, als emotionale Nähe unerreichbar schien oder kaum auszuhalten war. Dieses Verhalten war damals ein Ventil, eine kurzfristige, scheinbar harmlose Strategie gegen die innere Leere oder Einsamkeit. Ein natürliches Verlangen.

Doch diese werden zu Mustern und können in festen Beziehungen problematisch werden – insbesondere, wenn Symptome wie Depression, emotionale Taubheit oder KPTBS/PTBS das Leben überrollen. Der Griff zu alten Verhaltensweisen erscheint dann „normal“ und sogar alternativlos, besonders wenn in der Beziehung Kommunikation, Offenheit oder emotionale Resonanz fehlen. Das erneute Suchen nach Pornografie oder externen Dienstleistungen ist in diesen Phasen meist kein Zeichen dafür, dass keine Liebe mehr da ist, sondern oftmals ein Rückfall in Mechanismen, die früher zum Überleben hilfreich waren. Sie bestätigen in diesen Situationen die Negativspirale: „Ich liebe meinen Partner nicht, sonst würde ich mir diese Ersatzbefriedigung nicht suchen.“

Doch in Wirklichkeit wiederholt sich nur ein gelerntes Muster – das eigentliche Bedürfnis bleibt unerfüllt.

Gerade jetzt braucht es Mut, ehrlich zu sein: Der Weg aus dem Rückfall führt nicht über noch mehr Verheimlichen und Flucht in alte Muster, sondern über das offene Gespräch mit dem Partner. Es kann helfen, gemeinsam nach Lösungen und neuen Möglichkeiten zu suchen, vielleicht auch Intimität gemeinsam neu auszuprobieren. Auf diese Weise kann die Beziehung gestärkt werden, anstatt noch mehr Distanz oder Misstrauen zu erzeugen.

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Identitätskrisen: Veränderung der sexuellen Orientierung?

In emotional aufgewühlten Lebensphasen, insbesondere bei schwerer Depression, Burnout und Traumafolgestörungen, kann es auch zu Identitätskrisen kommen. Manche stellen plötzlich in Frage, ob sie noch vom gleichen Geschlecht oder wie gewohnt zu bestimmten Menschen hingezogen sind. Hierbei geht es oft weniger um tatsächliche Veränderungen in der sexuellen Identität, sondern meist um Verunsicherung und Orientierungslosigkeit im eigenen Selbstgefühl. Auch dieses Thema sollte offen in die Beziehung kommuniziert und mit Geduld betrachtet werden – manchmal klärt sich dieses Empfinden, wenn innere Sicherheit und emotionale Klarheit zurückkehren. Wir empfehlen in diesen Fällen eine professionelle Begleitung für alle Beteiligten.

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Die Falle der Parentifizierung: Altes Gesehenwerden – neues Unglück?

Ein weiteres Muster, das besonders nach traumatischer Kindheit auftritt, betrifft Menschen, die früher schon als Kind oder Jugendlicher die Rolle des „Retters“, "Helfers" und „Beschützers“ für die eigene Mutter übernommen haben. Als Vaterersatz waren sie ständig im Einsatz: tröstend, helfend, sorgend – und haben dafür endlich Anerkennung, Liebe und das Gefühl von Bedeutung erfahren. Für viele war das damals das erste und einzige Mal, dass sie sich „zuhause“, gebraucht und wirklich gesehen fühlten.

In einer späteren festen Beziehung – und gerade in Krisen mit KPTBS oder Depression – kann dieses Muster dazu führen, dass sich der Mensch unbewusst Partner oder Affären sucht, die ähnliche Gefühle wie damals bei der Mutter wachrufen. Das eigentliche Bedürfnis ist nicht primär sexuelle oder emotionale Untreue, sondern das tiefe Suchen nach dem Gefühl, wieder gebraucht, gesehen und verstanden zu werden. Daraus entsteht oft die Überzeugung, dass das Problem nur am aktuellen Partner liegen kann. Doch wer genau hinschaut, erkennt schnell: Die neuen Bekanntschaften ähneln nicht selten der Mutter von damals in ihrer Bedürftigkeit oder Verletzlichkeit.

Das ist kein Beweis für fehlende Liebe zum eigentlichen Partner – sondern ein wiederkehrendes Muster aus Kindheit und Jugend. Gerade in Zeiten der emotionalen Distanzierung, des Fluchtreflexes und der Eisdecke sucht man im Außen Ersatz für das, was früher zu kurz kam. Auch hier ist ehrliche Kommunikation mit dem Partner wichtig. Nur so kann ein sich anbahnender Kreislauf aus Misstrauen, Geheimnissen oder gar Trennung durchbrochen werden.

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Parentifizierung - wenn das Kind die Mutter ersetzt – und Stärke alles ist

Ein besonders belastendes Muster zeigt sich bei Menschen, die in ihrer Kindheit durch den Weggang oder Verlust der Mutter gezwungen wurden, deren Platz im Alltag einzunehmen. Während der Vater hart arbeitete und wenig Zeit für Emotionen oder Bindung aufbrachte, wurden die Kinder wie in einem Bootcamp erzogen: Sie mussten funktionieren, stark sein und Verantwortung übernehmen – Schwäche war tabu.

In dieser Konstellation bekamen die Kinder Anerkennung - nicht, weil sie sorgten oder Empathie zeigten, sondern weil sie sich durchsetzten, hart und manchmal sogar machomäßig verhielten. Die einzige Chance, gesehen oder „belohnt“ zu werden, lag in der Erfüllung väterlicher Erwartungen an Stärke, Disziplin und Durchhaltevermögen.

Oft entwickeln diese Kinder narzisstische oder übertrieben selbstbewusste Züge. Sie lernen schnell, Gefühle zu verstecken, Bedürfnisse zu ignorieren und immer der Starke, Unverletzliche zu sein. In Beziehungen bedeutet das später meist, dass sie große Probleme mit Nähe, Verletzlichkeit und echter Bindung haben. Sie suchen Anerkennung über Leistung, Macht oder Kontrolle, und fühlen sich ohnmächtig oder bedroht, wenn ihr „System“ hinterfragt oder gefordert wird.

Das ist nicht nur belastend, sondern auch toxisch für Partnerschaften: Empathie, emotionale Offenheit oder gegenseitige Unterstützung sind schwierig, weil das Motto aus der Kindheit lautet: „Schwäche zeigt man nicht.“ In Krisen greift dann das alte Überlebensmuster: noch härter werden, Gefühle abwehren, Kontrolle behalten.

Wer diesen Teufelskreis erkennt, hat den ersten Schritt gemacht: Zu verstehen, dass echte Stärke darin liegt, sich auch verletzlich zeigen zu dürfen, alte Wunden zu erforschen und emotionale Bedürftigkeit zuzulassen. Nur so entsteht echte Verbundenheit und ein erfülltes Miteinander, jenseits der alten Ketten und überholten Rollen.

In solchen fällen raten wir zu professionellen Hilfe von Psychotherapeuten und einer begleitenden Paarberatung.

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das führt uns zum letzten Beispiel:

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Wenn alte Muster toxisch werden: Manipulation und Narzissmus

Manchmal geraten Betroffene – meist ohne es zu merken – in Verhaltensmuster, die nach außen manipulativ oder egoistisch wirken können. Alte Überlebensstrategien zeigen sich dann als toxische Dynamik in der Beziehung: Zum Beispiel, indem unbewusst Druck auf den Partner ausgeübt wird, emotionale Nähe geschickt dosiert oder eigene Vorteile – sei es geschäftlich, finanziell oder emotional – in den Vordergrund rücken.

Hinter diesen Mustern steckt jedoch selten Boshaftigkeit, sondern vielmehr ein verzweifeltes Bedürfnis, das alte Gefühl von Kontrolle, Macht oder Zugehörigkeit wiederherzustellen. Oft zeigen sie sich verstärkt in Phasen der Überforderung oder bei ernsthaften Beziehungskrisen.

Gerade deshalb ist es wichtig, diese Muster achtsam zu erkennen und zu verstehen – denn erst dann kann ein gemeinsamer Weg heraus entstehen. Wird es toxisch, beginnt das Leid für den Partner – und kann sogar zu einer Traumatisierung führen.

Der Ausweg?
Selbst diese Mechanismen können angesprochen, erkannt und
therapeutisch bearbeitet werden – und zwar immer mit dem Ziel, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, gesunde Grenzen zu ziehen und echten, respektvollen Kontakt herzustellen.

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Egal wie schambesetzt oder zerstörerisch manche Muster wirken:

Sie sind kein Beweis für fehlende Liebe,

sondern Ausdruck tiefer alter Wunden, die nach Gesehenwerden und Heilung verlangen.

Die gemeinsame, ehrliche Aufarbeitung kann eine Beziehung retten, vertiefen – und sogar zum ersten Mal echte, reife Liebe ermöglichen.

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​Worte an Angehörige: „Manchmal ist Liebe am lautesten, wenn sie am leisesten erscheint.“

Akzeptieren Sie, dass die Gefühllosigkeit eine schmerzvolle Wand ist, die den/die Betroffenen selbst am meisten belastet. Es braucht Zeit und Geduld, bis wieder mehr spürbar wird. Jedes kleine Bemühen, jeder Versuch, präsent zu sein, ist bereits ein Zeichen von Hoffnung – auch wenn es selbst kaum wahrgenommen wird. Denken Sie an Selbstfürsorge, holen Sie sich Hilfe, drängen Sie nicht – sondern bleiben Sie geduldig und unterstützend. Heilung verläuft selten geradeaus, aber sie ist möglich, solange daran ernsthaft gearbeitet wird.

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​Statistiken

1. Emotionale Taubheit (Eisdecke) bei KPTBS/PTBS/Depression

  • Prävalenz von emotionaler Taubheit bei PTBS: Je nach Studie berichten bis zu 80% der Betroffenen über emotionale Abgeflachtheit oder Distanz zu sich/anderen (Quelle: Lanius, U. et al. "Emotion dysregulation and trauma", 2010; World Health Organization).

  • Intimitätsstörungen: In Paarbeziehungen berichten über 75% der PTBS-Personen über reduzierte emotionale Nähe, Rückzug und Zweifel an den eigenen Gefühlen (Quelle: Monson, C.M. et al., "Couple relations and PTSD", 2009, Annual Review of Clinical Psychology; Yehuda, R., "PTSD and relationship difficulties", Current Psychiatry Reports 2002).

2. Burnout, Depression, Partnerschaft und Wunsch nach Trennung

  • Bis zu 2/3 (ca. 70%) aller Depressiven berichten während akuter Episoden, Partnerschaften emotional zu verlieren oder als „ohne Gefühl“ zu erleben. 85-90% erklären nach Remission, dass sich das Liebesgefühl teilweise oder komplett regeneriert hat (Quelle: Kupfer, D.J. et al., "The long-term course of depressive illnesses", 1996).

  • Studien zeigen, dass die Mehrheit der Trennungsimpulse unter Depression/Burnout „Symptomen“ folgen und seltener eine echte Entscheidung auf Basis tiefer Reflexion sind (Quelle: American Psychiatric Association, DSM-5-TR; Deutsche Depressionshilfe 2021).

3. Retrospektive Erkenntnisse (Das Happy-End nach dem "Nicht-Aufgeben")

  • Reine Zahlen für „Erleichterung, dass man nicht aufgegeben hat“ gibt es nicht komplett.
    ABER: In der Traumatherapie, Paartherapie und auch in Patientenselbstberichten ist das häufig beschrieben und zusammengetragen:

    • Viele berichten nach stabilisierender Trauma- oder Depressionsbehandlung, dass sie erst im Rückblick klar benennen konnten: „Es war wie eine Eisdecke“„Ich dachte, da wäre keine Liebe mehr vorhanden, doch es war immer vorhanden, nur versteckt"  „Ich hätte fast alles aufgegeben, bin aber so dankbar, dass ich geblieben bin“.

    • Selbsthilfeforen (z.B. in den geschlossenen Gruppen der Deutschen Depressionsliga, Foren wie kptbs.de, CPTSD, psychforums.com) sind voll von Fallbeispielen, wo Menschen im Nachhinein genau dieses „Nicht-Aufgeben rettete mich“-Erlebnis beschreiben.

Wichtig: Diese Erfahrungen werden (leider) kaum statistisch erhoben, weil Therapieverläufe, Bindung und subjektive Gefühle dynamisch und schwer in Zahlen zu messen sind und für die Statistik keine offizielle Bedeutung aufweisen.
Was greifbar ist:

  • In der Paartherapie gelten sogenannte "Delay-Decisions" (auf Rat von Therapeuten Beziehung nicht sofort zu beenden) als protektiv und hilfreich. (Quelle: Baucom, D.H. et al., "Empirically supported couple and family interventions for adult problems", J. of Consulting and Clinical Psychology, 1998).

  • Die Empfehlung, unter akuter Belastung keine lebensverändernden Entscheidungen zu treffen, findet sich in praktisch jeder Leitlinie und ist international Konsens (siehe z.B. Deutsche Gesellschaft für Psychotraumatologie, S3-Leitlinie Unipolare Depression).

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Aktuelle Studien zeigen, dass über 75% der Menschen mit KPTBS, PTBS oder schwerer Depression während Krisenbeziehungen das Gefühl erleben, ihre Liebe sei „eingefroren, verschwunden“ oder gar „nicht mehr existent".

In der Retrospektive – nach erfolgreicher Therapie oder Erholungsphasen – berichten viele, dass sie erst dann verstanden haben: Ihre Gefühle waren nie wirklich weg, sondern von Symptomen überlagert. In anonymen Foren, Selbsthilfegruppen und auch in der psychotherapeutischen Praxis finden sich zahllose Erfahrungsberichte, in denen Betroffene dankbar sind, nicht vorschnell aufgegeben zu haben. Die Wissenschaft empfiehlt deshalb ausdrücklich, in Zeiten akuter Belastung keine lebensverändernden Entscheidungen zu treffen – die eigene Wahrnehmung ist massiv verzerrt (Deutsche Depressionshilfe, S3-Leitlinie Unipolare Depression, APA DSM-5-TR).

 

Zahlen gibt es nur teilweise, aber die professionelle Erfahrung und Aufzeichnungen sowie unzählige Betroffenenberichte zeigen:

Betroffene fühlen sich im Nachhinein erleichtert, dass sie nicht der Negativspirale nachgegeben und nicht vorschnell beendet haben. Mit Behandlung, Zeit und Geduld kehrt oft das Gefühl, die Verbindung und Freude zurück.

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Quellen

PTSD and relationship difficulties (Yehuda, 2002)

Emotion dysregulation and trauma (Lanius et al., 2010)

American Psychiatric Association DSM-5 Textrevision

Deutsche Depressionshilfe: Partnerschaft und Depression

Deutsche Gesellschaft für Psychotraumatologie – Leitlinien

kptbs.de Erfahrungsberichte

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